Zu neuen Ufern-Berlin, Rom und München
Das Ende seiner frühen Schaffensperiode wurde auch der Beginn einer neuen. Durch seine künstlerischen Erfolge, die ihn nunmehr auch finanziell dazu befähigten,
unternahm Paul Peterich Kunstreisen nach Holland, Belgien, England, Süddeutschland, Paris und in die Schweiz.
Danach folgte ein zweijähriger Aufenthalt in Rom. Wieder betrat Paul Peterich den Boden Italiens. Hier erlebte er
zwei fruchtbare Jahre zum Studium der Antike, schauend und lernend in dieser an Kunstschätzen überaus reichen Stadt, aber
auch schon künstlerisch schaffend.
»Dies waren die eigentlichen Jahre der
Entwicklung, nach denen sich der Künstler in voller Ruhe seinen eigenen Ideen zuwenden konnte, und erst jetzt den
großen Werken der Antike und der Renaissance mit wahrhaftem Verständnis gegenüberstand.« (4)
Am 23. 3. 1899 heiratete Paul Peterich in Berlin die künstlerisch begabte Pianistin Elsbeth Kühn, (geb. 1876) Tochter des
Fabrikanten und Geheimen Kommerzienrates Hermann Kühn und der Auguste geb. Wollrabe aus Dessau. Einem Bericht
des Sohnes Magnus Peterich zufolge brachte auch sie künstlerisches Erbe in die Ehe ein: Ihre Mutter war Schauspielerin
am königlichen Hoftheater in Hannover und deren Mutter, Italienerin, Sängerin an der Mailänder Scala.
Durch ihre ausdrucksvolle, harmonische Gestalt, aber auch durch ihre starke Musikalität spielte sie eine große Rolle in
Peterichs künstlerischem Schaffen. Aus dieser Ehe gingen fünf Kinder hervor, von denen ihm vor allem die älteren bei
seinen Kinderfiguren als Modelle dienten. Dieser neue Lebensabschnitt fiel zusammen mit seiner künstlerischen
Wende. Von nun an widmete sich der zu immer größerer Meisterschaft emporwachsende Künstler nur noch solchen
Arbeiten, zu denen er sich durch inneren Drang getrieben fühlte. »Ümmer graad ut« war sein Leitspruch. Ohne sich um die
wechselnden Stilrichtungen zu kümmern, rang er als eigenständiger, seiner selbst sicherer Künstler um die Darstellung
des Menschen. Köpfe geistiger Menschen gelangen ihm ebenso wie unschuldsvolle Kindergestalten. »Sein höchstes
Bemühen war es, den Menschen in seinem Leibe als Ausdruck seiner Seele zu erfassen und in Stein oder Erz wiederzugeben.«
(23)
In dieser Schaffenszeit erhob Peterich die Schönheit des menschlichen Körpers zum zentralen Thema seiner Kunst, wie sich alle Großen
i n der Geschichte der Bildhauerei diesem Hochziel der griechischen Plastik zu nähern suchten. Schon während seines frühen Aufenthaltes
in Rom entstand sein Römischer Knabe, eine künstlerisch hochwertige Arbeit, die er auf der Kunstausstellung in Venedig,
der Biennale, im Jahre 1905 zeigte. Sie wurde von der »Associazione Industriali e Commercianti Veneziani«, dem »Verband
Venezianischer Industrieller und Kaufleute« erworben und dem »Museo D'Arte Moderna«, dem »Museum für moderne Kunst« in Venedig zum Geschenk
gemacht. Noch heute wird dieses Kunstwerk dort bewahrt.
Er schuf die Terrakotta-Plastik
Mutter und Kind
eine farbige, unglasierte Skulptur, das Ebenbild seiner Frau.
1903 vollzog Peterich noch in Berlin den ersten großen Schritt zur monumentalen Ausprägung der plastisch gebändigten
Vision in seiner Medea, der Großplastik in schwarzem Marmor, der Muttergestalt aus der griechischen Mythologie.
In einer kunstkritischen Betrachtung aus dem Jahre 1904 (2) des Schaffens von Paul Peterich wird seine »hohe skulpturale
Kunst« herausgestellt. Er wird hier »ohne Zweifel« den Bildhauern zugerechnet, die »die stilistischen Anfänge einer zukünftigen deutschen Plastik suchen. Gruppen
wie Mutter und Kind' oder , Medea', beide polychrom (mehrfarbig), weichen doch schon in sehr auffallender Weise vom
Gewohnten ab, ohne sich darum den naturalistischen Zerrbildern der Individualisten zu nähern.«
Abb. rechts: »Römischer Knabe (lanciullo romano)«, Bronze
Im Besitz des Museo D Arte Moderna, Venezia - Museum für Moderne Kunst,Venedig
Abb. rechts: »Mutter und Kind« - Terrakotta
Abb. rechts: » Medea« Landesmuseum Oldenburg i.O.,Oldenburger Schloß
Abb. rechts: Brunnenfigur Klage
Der Kritiker wendet seine Aufmerksamkeit »den besten Schöpfungen« Peterichs zu und vermerkt, daß »dieser Bildhauer,
so wenig wie andere aus der vordersten Reihe, Klinger nicht ausgeschlossen, ganz zaghaft der Autorität der historischen
Vorbilder ausweicht, daß er aber auch nach einer innigen Beziehung zum machtvollen und tätigen Leben sucht.«
»Diesen Zug lesen wir mehr noch aus einigen für Terrakott und Sandstein gedachten Arbeiten, wie die zu niederströmendem Wasser
gedachte Brunnenfigur die Klage als auch in Marmor und Bronze ausgeführten.
Abb. rechts: Jugendliche Porträtbüste
- So die herbe StatueChloe (griech.: die Keimende),
des knospenhaften, halbkindlichen Mädchens
- die Jugendliche Porträtbüste, der Römische Knabe(s.o),
- der Jüngling mit Helm,
schlank, hochgewachsen und geschmeidig
- oder die lyrische Gruppe Verzweiflung mit dem »Ausdruck der Verzweiflung in dem Manne und
der hingebenden Angst in dem Weibe«. (2)
Abb. rechts: Jüngling mit Helm
Der Kritiker drückt sein lebhaftes Bedauern darüber aus, »daß dem Künstler
(Peterich) noch kein Auftrag erteilt wurde,der ihn ermächtigt hätte, statt dieser in
persönlich-lyrischer Stimmung oder in akademisch-freier Kunst-Übung entstandenen Gebilde feierliche Symbole zu
schaffen, die uns vor den Pforten, in den Hallen eines Kinder-Spitales tröstend und hoheitsvoll entgegengetreten wären.«
Peterichs Arbeiten werden hier schon frühzeitig in einem Atemzug genannt mit denen anderer Bildhauer »der vordersten
Reihe« wie Klinger+) und Hildebrand+),Tuaillon+), Hahn+) und Habich+) und entschieden denen zugerechnet, »die
auf eine vom Subjektivismus erlöste, männlichere deutsche Plastik hoffen lassen.
Abb. rechts: Lyrische Gruppe: Verzweiflung
Paul Peterich siedelte mit seiner Familie von Berlin nach München über, um in der abgeschiedenen Künstlerkolonie
Schwabing an die Ausführung seiner Vision der Medea zu gehen und viele seiner weiteren als Modell gefertigten
Werke zu vollenden. »Das große handwerkliche Können des Bildhauers, das ihn befähigte, auch ohne Modell aus dem Stein eine in ihm
beschlossene Figur mit dem Meißel herauszuholen, hat hier in der farbigen Behandlung des Marmors ... höchste
Lebendigkeit erreicht.« Seine Medea wurde aber »nicht die aus der Antike« bekannte Kindesmörderin, sondern die
Mutter schlechthin, die Beschützerin des von ihr zu verantwortenden Lebens.
Rührend schmiegen sich die Körper der Kinder, Schutz suchend, an den Leib der Mutter, in dem neues Leben heranwächst.« (23).
»Die dunkle dramatische Stimmung der Sage umwittert die Gestalt der Medea«.(14)
Ein Werk von hohem künstlerischem Bestand der deutschen Plastik gehört (23). Die Großplastik wurde im Jahre
1905 vom Großherzog Friedrich Augustvon Oldenburg+) zur Bereicherung seiner Kunstsammlung, dem »Augusteum«, angekauft und steht heute im
Oldenburger Schloß.